Internationalen Tag des Hutes am 25. November 2020
Sebastian Thiel nimmt den „Internationalen Tag des Hutes” zum Anlass Nada Quenzel, Hut- und Fotodesignerin über ihre Lust am Hut und am Fotografieren, zu befragen.
Man fühlt sich anders, steht und geht anders. Ein Hut richtet einen auf. Als Fotografin sehe ich auch den optischen Effekt. Beim Auswählen von Porträtfotos nach Shootings bin ich oft verblüfft, wie ein Hut einen Menschen verwandelt. Manchmal wirkt das Model nur mit Hut komplett, ohne, irgendwie nackt und unvollendet. Auch die Wirkung der verschiedenen Hutformen ist unglaublich spannend.
Das stimmt, doch beide Metiers ergänzen sich wunderbar. Als Fotografin interessiert mich der Mensch, das Gesicht, die Persönlichkeit. Als Hutdesignerin beschäftige ich mich mit dem gleichen Thema auf anderer Ebene. Ein Porträtfoto erzählt von der Persönlichkeit eines Menschen. Das tut auch ein Hut. Und wenn ich Hüte designe, denke ich immer auch als Fotografin.
Vielleicht könnte man es besser so sagen: Beides ist aus einer gemeinsamen Wurzel gewachsen. Ich habe in Heiligendamm Produktdesign studiert. Dabei spielte die Fotografie eine wichtige Rolle. Die Hochschule ist vom Bauhaus geprägt. So bekam ich auch eine solide handwerkliche Basis gelegt. Nach dem Diplom habe ich neun Jahre als Fotodesignerin gearbeitet, bevor ich mich an die Hutmacherei herangetastet habe.
Nun, die Fotografie hatte sich in den Jahren seit meinem Diplom im Jahr 2003 radikal verändert. Die Digitalisierung hat eine Bilderflut ausgelöst, in der das anspruchsvolle Bild untergeht. Ich wollte nicht einfach mitschwimmen. So habe ich nach neuen Formen der Verwirklichung als Produktdesignerin gesucht. Ich hatte auch Lust, wieder mehr mit meinen Händen zu arbeiten, anstatt immer nur Pixel zu schieben.
Der Hut faszinierte mich, weil er mir als Designerin so ein unglaublich breites Spektrum an Gestaltungsmöglichkeiten bietet. Außerdem wollte ich wissen, ob es möglich ist, ihn aus den Vitrinen zurück in den Alltag zu bringen. War der Hut wirklich nur noch als Accessoire für Exzentriker zu gebrauchen? Könnte er nicht viel mehr sein? Diese Fragen beschäftigten mich. Und dann habe ich mich in das Thema gestürzt. Das war etwa 2012.
Das war die erste Hürde! Es war schwer, jemanden zu finden, von dem ich lernen konnte. Das Handwerk war am Aussterben. Letztlich habe ich eine Hutmacherin mit Theaterhintergrund in Solingen gefunden, die mir das Basiswissen vermittelt hat – Materialien, Werkzeuge, Techniken – und den Mut damit kreativ zu sein.
Sehr beeindruckend! Meinen Erstling habe ich noch. Es ist ein schwarzer, eher androgyner Damen-Fedora. Ich war damals unheimlich stolz darauf. Heute würde ich ihn allerdings anders gestalten. Er ist eigentlich viel zu hoch. (lacht)
So wie ich es praktiziere, ist das aufwändige Handarbeit. Am Anfang steht der Rohling, der sogenannte Hutstumpen. Das ist zunächst eine ziemlich formlose Haube. Der Stumpen wird auf dem Hutweiter erhitzt, bis er weich und formbar ist. Dann ziehe ich den Rohling auf eine Holzform auf, wo er trocknet und abkühlt. Anschließend nähe ich das Hutband ein. Das ist das Grundprinzip, das je nach Modell variiert. Im Durchschnitt sitze ich einen Tag an einem Hut.
Derzeit etwa 200. Der Gestaltungsspielraum ist schier unerschöpflich. Die Grundform, die Materialien, die Farbe, die Form der Krone – also des Kopfteils –, die Breite und Biegung des Randes, bei Kappen die Größe und Form des Schirmes: Damit kann man spielen. Charakteristisch für meine Hüte sind markante, klare Formen, die ihrem Träger eine Silhouette verleihen.
Für Sommerhüte vor allem Stroh und Papiergarn auch Sisal und Parasisal, selten auch Bao – ein Garn aus den Fasern des Affenbrotbaumes – sowie Seegras. Für Winterhüte verwende ich nur feinsten Kaninchen-Haarfilz in den Qualitäten Glatthaar, Velours und Melousine. Haarfilz ist ein besonders edles und strapazierfähiges Material – sehr weich, schön warm und äußerst formstabil, außerdem auch wind- und wasserabweisend.
Ja, das ist wirklich etwas Besonderes. Ich habe schon Hutstumpen aus den 1940er und 1950er Jahren verarbeitet. Solche Raritäten bekommt man nur selten in die Hände. Entsprechend schwer sind sie zu finden. Übrigens sind auch einige meiner hölzernen Hutformen sehr alt. Mich reizt die Möglichkeit, das traditionelle Handwerk in einen modernen Kontext zu setzen.
Beim Filz ist es oft die überragende Qualität, die Regelmäßigkeit, die seltene Farbigkeit. Beim Stroh sind teilweise sehr feine, sehr aufwendige Flechttechniken darunter, die schon lang nicht mehr praktiziert werden. Besondere Schätze in meinem Fundus sind antike Rohlinge für die weltberühmten Florentiner Hüte. Einzigartig an diesen Hüten war ihr Aufbau aus miteinander verkettelten Weizenborten. Solche Stumpen werden seit fast 70 Jahren nicht mehr hergestellt!
Ja, dazu hat mich ein Besuch in Japan inspiriert. Dort gibt es eine sehr eindrucksvolle Tradition des Färbens mit Pflanzenfarben. Davon können wir viel lernen. Ich habe mit einer befreundeten Künstlerin schon einige sehr schöne Ergebnisse mit Avocado, roter Zwiebel und Hundskamille erzielt.
Das kann alles Mögliche sein. Ein alter Film, ein Gemälde, ein Anblick auf der Straße vor meinem Atelier, die Struktur oder Farbigkeit einer Fassade. Wenn ich unterwegs bin, versuche ich wachsam zu sein, Ideen sofort zu Papier zu bringen. Außerdem verfolge ich die führenden internationalen Modeevents sehr aufmerksam, wie die Fashion Weeks in Paris, London oder New York, und natürlich auch die London Hat Week – entweder vor Ort oder aus der Ferne.
Klares Ja. Ich sehe heute auf der Straße deutlich mehr Hüte als noch vor zwei Jahren. Auch bei Messeauftritten spüre ich ein riesiges Interesse. Es gibt eine neue Lust daran, nicht nur eine neue Frisur zu tragen, sondern auch eine Kopfbedeckung. Der Hut legt gerade sein Image des Exzentrischen ab. Er wird wieder eine normale Möglichkeit, sich zu gestalten – neben Pullover, Schuhen oder Handtasche.
Sommerliche Strohhüte und Kappen sind generell am beliebtesten. Der Sommerhut ist für viele die erste Berührung in die Hutwelt. Bei den Winterhüten sind eher die klassischen Modelle gefragt – zurzeit werden interessanterweise gern Signalfarben wie feuerrot, royalblau oder goldgelb genommen. Das finde ich spannend. Es zeigt ein neues Selbstbewusstsein der Hutträgerinnen.
Kann jeder Mensch Hut tragen?
Natürlich. Wer gern Hut tragen möchte, wird auch einen finden, der zu ihm passt. Ich komme auf Messen immer wieder mit Frauen ins Gespräch, die behaupten, dass ihnen Hüte nicht stehen. Meistens zeigt sich, dass sie bislang einfach immer zum falschen Modell gegriffen haben. Viele tragen dann zum ersten Mal einen Hut, der ihnen steht. Das ist schon ein besonderer Moment.
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