Berlin: Tanz im August: ”Shock! Electric! Movements!”

Ein Traum für jeden Kostümbildner, für eine Tanzkompanie, wie die von Marie Chouinards Kostüme zu entwerfen, auf den Proben auszuprobieren, zu modifizieren, um sie dann auf der Bühne an den Tänzern zu erleben.

Der Tanzabend beginnt mit Marie Chouinards neuster Choreografie. In „Soft virtuosity, still humid, on the edge” sind ihre Tänzer eine blaue Gruppe, sie tragen schlichte T-Shirts, rasen mit einer Geschwindigkeit über die Bühne, jede Figur mit einer anderen Gangart, als hätte der durchtrainierte Körper ein Handicap, ihre Zungen tanzen mit. Die T-Shirts werden über die Köpfe gezogen, gesichtslos bleibt nur der sich rythmisch pulsierende bewegte Körper, der sein Bewegungsablauf beibehält.
Nun kommen Kameras zum Einsatz, die T-Shirts sitzen wieder an ihren Körpern, die Köpfe der Tänzer/-innen werden gefilmt und an die Bühnenrückwand projiziert. Von den vermummten Körpern zu den Großaufnahmen der Gesichter. es ist als ob ich mir zwei Filme mit gleichem Inhalt zur gleichen Zeit ansehe. Ich sehe die Halbtotale und die Großaufnahme. Mit dieser digitalen Technik beobachte ich nun, ein für mich heilige Gesellschaft des 21 Jahrhunderts, stehend, sitzend und liegend, arrangiert wie auf einem Gemälde, die sich in minimaler Bewegung wie in Zeitlupe auf der Bühnen von links nach rechts bewegt, geführt von einem Licht in das gelobte Land, wo Vögel zwitschern und Regen fließt.

Es klingt noch jetzt in meinem Ohr, ”Shock! Elektric! Movements!”

Was von Weitem auf der Bühnenrückwand projiziert, wie die Darstellung von sortierten Chromosomenabbildungen aussieht, sind die Tuschekleckse, kaligrafische Spuren oder auch gestische Flecken, gemalt von Henri Michaux in den 60Jahren des letzten Jahrhunderts. Mit einem rasanten Tempo nehmen abwechselnd die zehn tanzenden schwarzen Silhouetten mit ihrem Körper die gestische Form der Projektionen auf. Die Bewegungsabläufe steigern sich im Rhythmus und die Tuschezeichnungen werden komplexer, aus Chromosomen werden Daphnien und Hüpferlinge und auch die Tänzer erwecken mit ihren Körpern das projizierte Kleingetier zum Leben. Als Zuschauer werde ich mit einer Fülle von Bewegungsabläufen und Figurenkonstellationen überflutet, denn es wird ersichtlich, dass hier ein lange Reihe von Tuschezeichnungen, die Mouvements von Henry Michaux abgetanzt werden. Das Tempo der Choreografie wird angetrieben durch ein Elektro-Metal-Beat. Nachdem das letzte Tuscheblatt im Hintergrund erscheint, wusste ich ”Der Trip ist zu Ende”. Vor Freude und Begeisterung musste auch ich mich in der Zuschauerreihe bewegen und ich klatschte bis die Hände brannten.

Verpasst nicht die Gelegenheit internationale Tanzkompanien bis einschließlich dem 4. September 2015 in Berlin kennen zu lernen (siehe hier)

Zum ersten Mal zu sehen ist die Weltpremiere „The Ghosts” von Constanza Macras Dorky Park vom 4. – 8. September in der Schaubühne am Lehniner Platz.